Empirische Prozesssteuerung
Empirische Prozesssteuerung ist eines der Kernprinzipien von Scrum und unterscheidet es von anderen Frameworks. Der Scrum Guide trifft es gut:
Scrum ist kein Prozess und keine Technik um Produkte zu bauen; vielmehr ist es ein Framework innerhalb dessen man eine ganze Menge verschiedene Prozesse und Techniken implementieren kann. Scrum offenbart die Wirksamkeit des Produktmanagements und der Entwicklungspraktiken, um diese verbessern zu können.
Das bedeutet? Durch empirische Prozesssteuerung bekommen wir nicht den Umfang des Produkts in den Griff und reparieren auch nicht den Prozess mit dem es gebaut wird. Stattdessen erzeugen wir in kleinen Iterationen auslieferbare Inkremente des Produkts, sehen uns an was und wie wir es erstellt haben und passen das Produkt und die Art es zu bauen an. Unterstützt wird dies durch die in Scrum eingebauten Transparenz schaffenden Mechanismen, die das Überprüfen erst ermöglichen.
Warum basiert Scrum auf empirischer Prozesssteuerung? Weil eine wesentliche Erkenntnis von Scrum ist, dass Produktentwicklung sehr komplex ist und in verschiedenen Branchen zu unterschiedlich gelebt wird, um ihr mit einem vordefinierten Prozess zu begegnen.
Die Welt der Produktentwicklung hat wieder und wieder versucht mit über-definierten Prozess-Vorgaben diese komplexe Domäne zu behandeln als wäre sie ein einfaches deterministisches System. Sie haben niemals wirklich funktioniert. Trotzdem wird es immer Menschen geben, die sagen, “Sie haben es nur nicht konsequent genug versucht.” Und es wird immer die geben, die sagen, “Sie haben einfach noch nicht die korrekte und hinreichend detaillierte Formel für den Prozess und die richtigen Tools gefunden.” Das führt dann in eine Endlosschleife aus neueste Mode einführen (häufig tut das ein Berater), die Mode wieder ablegen und die nächste neue Modeerscheinung adaptieren.
Im Gegensatz zu einem bis ins Detail definierten Prozess setzt Scrum auf Prinzipien wie Transparenz und Selbstorganisation, um empirische Prozesssteuerung zu unterstützen.
Gleichzeitig hilft eine einfache, gradlinige, anpassbare Struktur neu aufgestellten Entwicklungsteams diese Prinzipien zu verstehen und direkt loszulegen. Die konkreten Scrum-Praktiken bilden den Startpunkt, um die dahinter liegenden Prinzipien anzunehmen. Perfekt ausgewogen.
Anders gesagt: eine Gruppe benötigt “gerade genug Prozess” um Transparenz zu schaffen, und den Überprüfungs- und Anpassungszyklus in Gang zu bringen, der der empirischen Prozesssteuerung zugrunde liegt.
Large-Scale Scrum (LeSS) ist Scrum. Daher erreicht es die gleiche Ausgewogenheit wie Scrum für ein Team in großen Produktentwicklungsgruppen. Es gibt Scrum ein wenig mehr konkrete Struktur in Form der LeSS Regeln. Der Sinn dahinter ist es Transparenz zu unterstützen und den Überprüfungs- und Anpassungs-Zyklus (engl. inspect-adapt cycle) zu fördern, damit sich die Produktentwicklungsgruppen ständig in ihrer Art zu arbeiten weiterentwickeln können. Diese Methoden und Strukturen erleichtern den Einstieg; sie sind aber bewusst ‘unvollständig’, damit die Gruppen Raum für das umfassende situationsbedingte Lernen und Umdenken haben, welches komplexe Domänen wie die Produktentwicklung erfordern.